Stolpersteine in Chemnitz
Erich, Eugenie, Gerhard und Marion Jacoby
Erich Jacoby
Geboren: 29. August 1892
Gestorben: nach dem 13. Juli 1942
Eugenie Jacoby, geb. Brüll
Geboren: 10. November 1898
Gestorben: nach dem 13. Juli 1942
Gerhard Jacoby
Geboren: 10. Dezember 1925
Gestorben: 29. Juli 2019
Marion Jacoby, verh. Nyman
Geboren: 11.März 1928
Gestorben: 8. April 2005
Verlegeort:
Moritzstraße 20 (Tietz)
Stolperstein-Verlegung am:
20. September 2025
Lebensweg

Am Anfang des letzten Lebensbildes steht eine »Erinnerung«, die Gerhard Jacoby im März 2005 verfasste: »Neulich bekam ich das Buch ›DasTietz‹ zu lesen. Ich wohne heute in Stockholm, Schweden, lebte aber als Kind bis 1939 gemeinsam mit meiner Familie in Chemnitz. Mein Vater, Erich Jacoby, war von 1927 bis zur sogenannten Kristallnacht im November 1938 bei Tietz tätig. Er war der Abteilungsleiter für die Damenkonfektion. Das Buch erinnert mich und meine Schwester Marion an alte Zeiten, obwohl wir damals nur Kinder waren. Es müssten noch mehr ähnliche Bücher herausgegeben werden, damit man nicht alles vergisst, was einmal gewesen ist.«
Wie Gerhard Jacoby schrieb, war sein Vater Abteilungsleiter in dem 1913 errichteten Warenhaus Tietz in Chemnitz. Hermann Fürstenheim, der Direktor, hatte den Einkäufer im Jahr 1927 aus Berlin nach Chemnitz geholt. Von seinen Kollegen wurde er in einer Festzeitung (1929) als »Jacoby der Erste in ganzer Person« beschrieben, den nur in Stimmung bringen konnte, »wenn reichliche Gelder in der Kasse klingen«. Erich Jacoby gehörte zu den Mitarbeitern des Warenhauses, die allein aufgrund ihrer jüdischen Abstammung zu den unzähligen Opfern des Holocausts in Chemnitz gehörten und deren Namen immer mehr in Vergessenheit geraten.
Was ist über den kaufmännischen Angestellten bekannt? Erich Richard Jacoby wurde in der Stadt Glogau (heute Głogów), die bis Mai 1945 zur Provinz Schlesien gehörte, geboren. Seine Eltern waren Julius Jacoby und Helene Hauptmann.
Über sein frühes Leben liegen nur wenige Angaben vor. Er gehörte zu den zahlreichen jüdischen Weltkriegsteilnehmern, die auf Seiten Deutschlands kämpften. Eine Zeit lang lebte er in Berlin-Charlottenburg. Dort vermählte er sich am 29. Januar 1924 mit der sechs Jahre jüngeren Eugenie Brüll. Eugenie, die von allen liebevoll Jenny genannt wurde, stammte aus Mähren. Die Eheleute hatten zwei Kinder. Mit Gerhard wurde das erste Kind am 10. Dezember 1925 noch in Charlottenburg geboren. Ruth Marion erblickte am 11. März 1928 in der elterlichen Wohnung in Chemnitz das Licht der Welt. In der Uhlichstraße 22 hatte Erich Jacoby eine große Fünfraumwohnung gefunden. Zu seinen Nachbarn gehörte unter anderem der Zahnarzt Dr. Hans Fröhlich.
Gerhard und Marion besuchten die Andréschule auf dem Kaßberg. Als die jüdischen Schüler nicht mehr die Volksschulen in Deutschland besuchen durften, gehörten sie zu den Schülern, die die Jüdischen Sonderklassen am Brühl besuchen mussten.

Erich und Eugenie Jacoby sahen sich gezwungen, nach den Ereignissen der Pogromnacht ihre großbürgerliche Wohnung am 3. April 1939 aufzugeben und in eine Notwohnung im »Judenhaus« Zschopauer Straße 74 zu ziehen. Zu ihren oftmals wechselnden Nachbarn gehörten unter anderem die Eheleute Sonder mit ihrem Sohn Justin.
Die Pogromnacht hatte für Erich Jacoby bedeutet, dass er zu den Chemnitzer Juden gehörte, die in »Schutzhaft« genommen und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt worden waren. Er kehrte bereits am 27. Dezember 1938 nach Chemnitz zurück und erkannte, dass er alles dafür tun musste, um die Kinder in Sicherheit zu bringen. Am 6. Juni 1939 konnten Erich und Eugenie Jacoby ihre Kinder mit Hilfe des Kindertransportes nach Schweden in Sicherheit bringen. Sie selbst blieben in Chemnitz zurück.
Die Eheleute Jacoby bemühten sich in der Folgezeit verstärkt um ihre Auswanderung aus Deutschland, jedoch ohne Erfolg. Sie wohnten weiterhin in der Zschopauer Straße und mussten ansehen, wie am 10. Mai 1942 die ersten Hausbewohner »umgesiedelt« wurden.
Die Eheleute standen in Kontakt mit ihren Kindern in Schweden. Sie nannten sie »das Jungele und die Puppeli«. Zuletzt erhielten sie eine Karte von der Tochter Marion, die diese am 1. Juli 1942 geschrieben hatte. Sie hofften, dass die Geschwister zusammen in einem Heim in Stockholm wohnen würden und sich Gerhard so um seine jüngere Schwester kümmern könnte.
Vor ihrer bevorstehenden Deportation verfassten Erich und Eugenie Jacoby am 11. Juli 1942 einen letzten Brief an ihre Kinder. Die ersten Zeilen lauteten: »Mein goldenes, geliebtes einziges Jungele und Puppeli! ... Wenn Du diese Zeile erhältst, mein geliebtes Jungele, sind wir nicht mehr in Chemnitz und wissen auch nicht genau, wohin wir reisen, … Nur eine Bitte habe ich an Dich, mein Einziger, und auch an Dich, mein süßes Puppeli, macht Euch ja keine Gedanken und seid nicht traurig. Wir sind es auch nicht!«
Erich und Eugenie Jacoby wurden am 13. Juli 1942 zusammen mit 16 weiteren Chemnitzer Juden, unter anderem dem Schulleiter Hermann Jungmann, nach dem »Osten« deportiert. Insgesamt sollen über 900 Frauen und Männer an dem Tag mit dem Sammeltransport, der aus Süddeutschland kam, über Magdeburg und Leipzig um Mitternacht dort in Richtung Auschwitz abgefahren sein. Die Jüdische Gemeinde Chemnitz ging nach Kriegsende davon aus, dass auch dieser Transport das Ghetto Belzyce als Ziel hatte.
Stolpersteine in Chemnitz
Es ist ein Projekt gegen das Vergessen: in Chemnitz werden seit 2007 jährlich Stolpersteine verlegt.
Eingelassen in den Bürgersteig, erinnern die Gedenksteine an tragische Schicksale von Mitbürgern, die während des nationalsozialistischen Regimes verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Tod getrieben wurden.
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