Stolpersteine in Chemnitz

Karl und Marianne Otto

Karl Otto 
Geboren: 08.06.1902
Gestorben: 18.10.1978

Marianne Otto, geb. Schubert
Geboren: 19.04.1906
Gestorben: 06.04.1998
 

Verlegeort:

Würzburger Straße 25

 

 

Stolperstein-Verlegung am:

20. September 2025

Lebensweg

Der Schriftleiter, Lyriker und Kulturfunktionär Karl Otto gehörte zu den Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenburg, die nicht nur vor Ort ihre Erinnerungen an die Haftzeit aufschrieben, sondern sich auch später mit der Geschichte des Lagers und den Opfern eingehend befassten.

Friedrich Karl Otto wurde als sechstes Kind der Eheleute Bruno Otto und Alma Claußner in Chemnitz geboren. Sein Vater war Stadtamtmann. Nach dem Besuch
der Mittleren Volksschule begann er im Jahr 1916 zunächst in einer Anwaltskanzlei eine Lehre. Ihm missfielen jedoch bald »die farblose Luft von Strafakten, Faszikeln, Gesetzesbüchern« in der Kanzlei am Markt und die damit verbundene Enge einer »bürgerlichen Laufbahn«.

Im Ersten Weltkrieg verlor der Anwaltsschreiber endgültig seinen Gottesglauben. Walther, sein ältester Bruder und Vorbild, war im Dezember 1917 in einem Kriegslazarett in Frankreich seinen schweren Schussverletzungen erlegen. Karl trat umgehend aus der Kirche aus. Durch die Wirren der Novemberrevolution 1918/19 nahm er endgültig Abstand von der Welt des Kleinbürgertums, gleichzeitig meinte er, die »Halbheiten der neuen Republik« erkannt zu haben. Anfang 1924 fuhr Otto nach Grünheide bei Berlin, um eine Einladung des Schriftstellers Georg Kaiser anzunehmen. Er wurde für ein knappes Jahr dessen Privatsekretär. Im Dezember 1924 sah er sich im Zuge wachsender Verlagsschwierigkeiten gezwungen, nach Chemnitz zurückzukehren. Otto nahm zunächst eine Arbeit als Posthelfer an, bevor er Depeschenbote wurde. Er wohnte wieder bei seinen Eltern aufdem Sonnenberg in der Würzburger Straße 25. Für ihn war es aber eher
eine »sonnenlose Gegend«, die Bürger sprachen geringschätzig von der »Thälmann-Schlucht«.

Im Jahr 1925 wurde Otto Mitglied der KPD und des Roten Frontkämpferbundes. Als Referent stellte er sich zudem dem Proletarischen Freidenkerverband
zur Verfügung.

Am 22. Oktober 1927 vermählte sich Karl Otto mit der vier Jahre jüngeren Buchbindertochter Klara Marianne Schubert, die im März 1927 auch den Weg zur KPD gefunden hatte. Marianne (genannt Nanne) Otto hatte ab 1923  als Stenotypistin und Korrespondentin gearbeitet. Eine Zeit lang war sie Privatsekretärin des angesehenen jüdischen Arztes und späteren SPD-Stadtrates Dr. Kurt Glaser in Chemnitz. In der Folgezeit arbeitete sie als Stenotypistin für Kurt Sindermann und Fritz Selbmann. Ihre Ehe blieb kinderlos. Dazu hatten sich die Eheleute ganz bewusst durchgerungen.
 

Das Ehepaar Karl und Marianne Otto ist gerade in ein Gespräch vertieft. Karl Otto hält ein schmales, weißes Buch aufgeklappt in einer Hand, mit der anderen fasst er sich gerade in die Brusttasche seines Jacketts. Er trägt eine Brille und eine schwarze Baskenmütze, eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, dazu eine Krawatte. Marianne Otto hört ihm zu, sie scheint nachzudenken. Ihr dunkles Haar hat sie hochgesteckt. Sie trägt einen dunklen, langen Rock, ein schwarzes Oberteil und darüber einen dunklen Blazer mit Nadelstreifen. Über ihr hängt ein Plakat, auf dem „Tage des Buches 1956“ zu lesen ist. Im Schaufenster des Ladens hinter dem Ehepaar ist der Name Stefan Heym zu lesen.
Marianne und Karl Otto zum Tag des Buches 1956. Für das Ehepaar werden am 20. September Stolpersteine in der Würzburger Straße 25 verlegt. Foto: privat

Die Familie Benda gehörte zu den jüdischen Familien, die seit Jahrzehnten in Chemnitz lebten und das jüdische Leben mitprägten.

Der Kaufmann Josef Benda hatte im Herbst 1886 seinen Wohnsitz nach Chemnitz verlegt. Bis dahin hatte der Schuhwarenhändler in Münchengrätz (Böhmen) gelebt. Zusammen mit seiner Ehefrau Cäcilie Sandheim hatte er drei Söhne: Hugo, Willy und Hans. Alle drei gehörten im ersten Weltkrieg zu den jüdischen Soldaten auf deutscher Seite. Hugo Benda gründete 1921 mit zwei weiteren Kaufleuten unter dem Namen Benda & Co. eine Wollwarenfabrik. Nach dem Tod eines Teilhabers und dem Ausscheiden eines weiteren war Hugo Benda alleiniger Inhaber. Als solcher wandelte er die Firma in eine mechanische Wollwarenfabrik um und vertrieb unter der Schutzmarke »Stabil Qualitätsware« landesweit Herrenwesten und Sportstrümpfe. Das dreigeschossige Wohn- und Geschäftshaus Zieschestraße 13, in dem sich die Fabrikräume befanden, ging um 1923 in den Besitz der Firma über.

Am 3. Januar 1924 vermählte sich Hugo Benda mit Florentine Louise Marie Krug. Vier Jahre später brachte die Ehefrau in der Staatlichen Frauenklinik ein Mädchen
auf die Welt. Dieses erhielt die Vornamen Eugenie Margot Ilse. In der Henriettenstraße 50 fand die Familie um 1932 eine geeignete Wohnung. 

Unmittelbar nach der Machtübergabe an die NSDAP am 30. Januar 1933 setzte auch in Chemnitz eine mörderische Gewalt gegen Regimegegner und Juden ein. Zum Teil wurden diese in die berüchtigten »Hansa-Haus-Gaststätten« in der Innenstadt verschleppt und dort misshandelt.

Als am 1. April 1933 zum landesweiten »Judenboykott« aufgerufen wurde, wurde Hugo Benda von der Straße weg verhaftet und drei Tage lang festgehalten und misshandelt. Ob der Fabrikant im »Hansa-Haus« gefoltert wurde, ist nicht überliefert. Der »Judenboykott« hatte deutliche Folgen. Die Umsatzzahlen gingen drastisch zurück. Hugo Benda sah sich gezwungen, am 11. Juni 1934 Konkurs anzumelden. Das Verfahren dauerte nur bis zum 9. Juli 1934. Seine Arbeiter zogen vor das Wohnhaus auf dem Kaßberg und verabschiedeten sich von ihrem Patron, »stumm mit gezogenen Mützen«, schreibt Ilse Rau, geborene Benda, in ihrer Autobiographie »Meine Mara-Jahre«. Aus dem Handelsregister wurde der Firmeneintrag erst am 27. April 1937 getilgt.

Zu diesem Zeitpunkt lebte Hugo Benda bereits nicht mehr. Er war am 4. Mai 1936 einem schweren Krebsleiden erlegen. Obwohl er in ein städtisches Krankenhaus eingeliefert worden war, wurde ihm als Juden dort die notwendige Bestrahlung verweigert. Bei seiner Beisetzung auf dem Jüdischen Friedhof war seine Tochter nicht dabei – aus Angst vor Übergriffen. Fortan lebte Ilse bei wechselnden Arbeiterfamilien der früheren Textilfabrik Benda. 

Sie besuchte zunächst die Andréschule für Mädchen auf dem Kaßberg. Als die jüdischen Schülerinnen und Schüler zu Pfingsten 1938 die Volksschulen verlassen
mussten, wurde auch Ilse Schülerin der »Jüdischen Sonderklassen«. Dort begegnete sie dem Lehrer Leo Elend, mit dem sie bis zu seinem Tod am 8. März 1939 Kontakt hielt.

Als »Geltungsjüdin« erhielt Marie Benda Berufsverbot. Die gutbürgerliche Wohnung in der Henriettenstraße musste sie aufgeben und zwangsweise ins »Judenhaus« in der Theaterstraße 34 übersiedeln, wo sie sich mit der Gemeindeschwester Edith Kahn eine Wohnung teilen musste.

Kurz nach der Reichspogromnacht im November 1938 verließen Marie und Ilse Chemnitz fluchtartig. In Berlin hofften sie, weniger aufzufallen und kamen zeitweise bei ihrer Schwägerin unter.

Marie Benda suchte nach Fluchtmöglichkeiten aus Hitler-Deutschland. Bei Aachen fand sie Helfer, die sie mit Ilse im Juni 1939 über die grüne Grenze nach Belgien brachten.

Den Krieg und die deutsche Besatzung überlebten beide in der Illegalität in Brüssel. Ilse meisterte die neue Zweisprachigkeit, erfuhr Förderung durch belgische Lehrerinnen und legte dort ihr Abitur ab. 

Als Zwanzigjährige kehrte Ilse Benda nach Deutschland zurück, um Walter Rau zu heiraten, den sie als Besatzungssoldaten in Belgien kennengelernt hatte.
Aus der Ehe gingen neun Kinder hervor. Mit über 80 Jahren schrieb sie ihre Erinnerungen nieder. Unter dem Titel »Meine Mara-Jahre« wurden sie 2016 veröffentlicht, wenige Monate vor ihrem Tod im Dezember 2016.

Ihre Mutter Marie Benda kehrte 1950 nach Deutschland zurück, wo sie fünf  Jahre später starb.

Autor: Dr. Jürgen Nitsche

Das schwarz-weiße Porträt zeigt Karl Otto in einer sehr nachdenklichen Pose. Er hat seine Hand an seinen Kopf gelehnt und schaut schräg nach unten. Auf dem Foto ist er schon etwas älter, man erkennt deutliche Falten auf seiner Stirn. Er trägt eine schwarze Jacke, ein weißes Hemd sowie eine schwarze Krawatte.
Karl Otto Foto: privat

Als freier Korrespondent schrieb Otto ab Juli 1926 Gerichtsberichte für die Tageszeitung »Der Kämpfer«, das Mitteilungsblatt der KPD des Industriebezirkes 
Chemnitz, Erzgebirge und Vogtland. Trotz Verbots der Zeitung Ende Februar 1933 setzte er die Arbeit als politischer Redakteur fort, und zwar im Untergrund
im benachbarten Kreis Burgstädt. Am 27. März 1933 wurde er dort wegen »illegaler Zusammenkunft« verhaftet. Bis zum 6. April 1933 blieb er in Polizeihaft
in Burgstädt, bevor er in das Untersuchungsgefängnis Kaßberg in Chemnitz überstellt wurde. Seine Ehefrau wurde am 8. Mai 1933 ebenfalls verhaftet und
befand sich bis zum 16. Mai 1933 im Polizeipräsidium in »Schutzhaft«. Am 27. Mai 1933 wurde Otto in das Konzentrationslager Sachsenburg verlegt und
dort dem Arbeitskommando »Gartenbau« zugeordnet. Erst am 6. November 1933 wurde er entlassen.

Eine neue Arbeit fand Otto nicht. Er setzte aber weiterhin als Mitglied der Widerstandsgruppe Jungbluth die illegale Tätigkeit fort. Ein Spitzel verriet ihn und den Lehrer Rudolph Strauß, den späteren Direktor des Stadtarchivs Chemnitz, in dieser Zeit bei der Geheimen Staatspolizei. Daher wurden beide am 16. Oktober 1934 wegen »staatsfeindlicher Einstellung« verhaftet und zunächst in das Chemnitzer Polizeigefängnis an der Hartmannstraße gebracht. Von dort wurden sie zehn Tage
später in das KZ Sachsenburg überführt. Erst am 6. Dezember 1934 konnte Otto nach Chemnitz zurückkehren. 

Am 24. Januar 1940 wurde Otto aufgrund einer abermaligen Denunziation von der Gestapo abgeholt, weil ein früheres konspiratives Treffen aus dem Jahr 1933 mit Karl Jungbluth und Alfred Hecktheuer ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten war. Das Verfahren wurde jedoch am 16. Februar 1940 eingestellt.

Am 12. Januar 1942 wurde Otto für die Wehrmacht mobilisiert. Nach Abschluss der Ausbildung wurde der Obergefreite  zur Bahn- und Brückenüberwachung in
die Steiermark verlegt. Am 9. Mai 1945 geriet er in englische Kriegsgefangenschaft. Ende November 1945 wurde er nach Wien verlegt. Von dort konnte er am 21. Dezember 1945 fliehen. Sechs Tage später traf er in seiner weitgehend zerstörten Heimatstadt ein.

Stolpersteine in Chemnitz

Es ist ein Projekt gegen das Vergessen: in Chemnitz werden seit 2007 jährlich Stolpersteine verlegt.

Eingelassen in den Bürgersteig, erinnern die Gedenksteine an tragische Schicksale von Mitbürgern, die während des nationalsozialistischen Regimes verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Tod getrieben wurden.

mehr