Stolpersteine in Chemnitz

Johannes und Nanny Paudler

Johannes Paudler
Geboren: 17.08.1901
Gestorben: 14.08.1985

Nanny Paudler,
geb. Fröhlich, gesch. Arnsdorf
Geboren: 23.05.1908
Gestorben: unbekannt

Verlegeort:

Helenenstraße 60 (heute Walter-Oertel-Straße)

 

 

Stolperstein-Verlegung am:

20. September 2025

Lebensweg

Opfer des Faschismus Ausweis von Johannes Paudler Foto: Nanny Paudler – Sammlung Nitsche

Die Eheleute Paudler gehörten zu den ungezählten Familien in Chemnitz, die laut NS-Rassenlehre als in einer „Mischehe“ lebend geführt wurden. Aufgrund ihres Status blieben die als „jüdisch“ eingestuften Ehepartner bis kurz vor Kriegsende von Deportationen verschont. Dennoch waren sie oftmals abstrusen Schikanen ausgesetzt, wovon Nanny Paudlers Leidensweg zeugt.

Nanny Fröhlich stammte aus Ratibor (Oberschlesien) und war, wie sie es selbst schrieb, „der Geburt nach Volljüdin“. Sie besuchte die Volksschule und das Gymnasium bis zur Obersekunda. Anschließend erlernte sie das Schneiderhandwerk, legte die Gesellinnenprüfung ab und absolvierte die Kunstgewerbeschule des Professors Lange-Schlaffke in Breslau. Dann trat sie bei dem Modehaus Willy Gerichter in Breslau ein, wo sie zwei Jahre bis zu ihrer Verheiratung im September 1930 mit dem Arzt Dr. Nathan Selmar Arnsdorf in Grüna blieb. Die Ehe ging schon sehr bald in die Brüche. 

Ihre zweite Ehe schloss Nanny Arnsdorf im April 1933 mit dem Verlagsvertreter Johannes Wilhelm Ferdinand Paudler (gen. Hanns), der aus Böhmen stammte. Dadurch erwarb sie die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit. Außerdem konvertierte sie zur römisch-katholischen Kirche. Als durch die Zerschlagung der Tschechoslowakei (1939) der Schutz einer ausländischen Staatsbürgerschaft entfiel, stand sie wegen ihrer „Rassezugehörigkeit“ sowie der antifaschistischen Haltung ihres Ehemannes vor der unmittelbaren Verhaftung.

Zum Schutz ihres Lebens erwirkte Nanny Paudler dank der Hilfe des Rechtsanwaltes Dr. Heinrich Emmerich die Einleitung eines Abstammungsverfahrens mit der Absicht, auf Grund der Nürnberger Rassegesetzgebung nicht mehr als „Volljüdin“ zu gelten. Zwei Jahre zog sich dieses Abstammungsverfahren hin. Während dieser Zeit war sie größten Demütigungen und seelischen Belastungen durch Untersuchungen und Vernehmungen des Rassepolitischen Amtes der NSDAP in Berlin und durch die Staatsanwaltschaft in Chemnitz ausgesetzt. Im Mai 1940 wurde sie tatsächlich „zum Mischling ersten Grades“ erklärt.

Die Eheleute hatten inzwischen ihre Wohnung auf dem Kaßberg (Helenenstraße 60) aufgegeben und waren in den Stadtteil Reichenhain gezogen. Als einer von den dortigen NS-Funktionären von Nanny Paudlers jüdischer Abstammung erfuhr, versuchte dieser, fortlaufend Intrigen gegen die Eheleute anzuzetteln.  

Wieder begannen Monate voller Todesangst und Sorgen. Um weiteren Nachstellungen zu entgehen, sahen sich die Eheleute gezwungen, Chemnitz im Januar 1944 zu verlassen. Sie hielten sich in Schlesien und an der Ostsee verborgen. Infolge der Aufregungen und Nervenkrisen verlor Nanny Paudler ihr zu erwartendes Kind im 6. Monat durch eine Fehlgeburt. 

Bei Nannys Schwester Leni Mendel fanden die Eheleute unter falschem Namen Unterschlupf in Berlin. Als Folge der Fehlgeburt musste Nanny Paudler sich einer Operation im Städtischen Krankenhaus Buch unterziehen. In dieser Zeit wurde ihr Ehemann in der Wohnung ihrer Schwester von der Gestapo verhaftet. Nanny Paudler rechnete nunmehr auch mit ihrer Verhaftung. Ihren Versuch, nicht lebend in die Hände der Gestapo zu fallen, vereitelte ein Arzt, indem dieser sie zunächst unter Morphium hielt und ihr dann versicherte, dass er Mittel und Wege finden würde, sie dem Zugriff der Gestapo zu entziehen.

Da die Abteilung der Gestapo, die Hanns Paudler verhaftet hatte, sich nur für Juden interessierte und verabsäumt hatte, über seine Person in Chemnitz Rückfrage zu halten, kam er wieder frei. Die Eheleute tauchten daraufhin, da Leni Mendel auch verhaftet und nach Ravensbrück eingeliefert worden war, völlig unter.

Als Hanns Paudler gewarnt wurde, dass er wegen Verweigerung des Volkssturmeinsatzes von einem Hausbewohner denunziert worden sei, verließen die Eheleute im Februar 1945 bei Nacht und Nebel Berlin und flüchteten nach Wernsdorf im Erzgebirge. Der dortige Bürgermeister nahm die Eheleute ohne die erforderliche Anmeldung beim zuständigen Arbeitsamt und Wehrmeldeamt auf. Noch am 7. Mai 1945 hätte sich Hanns Paudler gemeinsam mit seinem Freund, dem Kinderarzt Dr. Otto Jäger, vor dem Kriegsgericht in Marienberg einfinden sollen, da sie ihre Freude über Hitlers Tod zu offen geäußert und eine Abwehrorganisation in Wernsdorf geschaffen hätten. Zur Verantwortung vor dem Kriegsgericht kam es nicht mehr, da in der Nacht vom 6. zum 7. Mai 1945 die Rote Armee Wernsdorf befreite.

Die Ehe wurde laut Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 1. Juli 1948 geschieden. Nanny Paudler hatte sich bereits im Mai 1948 nach Groß-Glienicke (Osthavelland) abgemeldet. Hanns Paudler, der sich aktiv für die Enttrümmerung der Stadt eingesetzt hatte, ging bereits am 20. Oktober 1948 eine weitere Ehe ein. Die Eheleute verlegten später ihren Wohnsitz nach Düsseldorf.

Autor: Dr. Jürgen Nitsche

Stolpersteine in Chemnitz

Es ist ein Projekt gegen das Vergessen: in Chemnitz werden seit 2007 jährlich Stolpersteine verlegt.

Eingelassen in den Bürgersteig, erinnern die Gedenksteine an tragische Schicksale von Mitbürgern, die während des nationalsozialistischen Regimes verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Tod getrieben wurden.

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