Ein Angebot, das Generationen verbindet
Ulli Engelmann ist seit fünf Jahren ehrenamtlich als Streitschlichter an Grundschulen aktiv
Grundschulkindern zu helfen, ihre Alltagskonflikte gewaltfrei zu lösen, das ist das Anliegen des gemeinnützigen Vereins Seniorpartner in School. Was die ehrenamtliche Arbeit auszeichnet, erzählt Ulli Engelmann im Macher-der-Woche-Interview.
Einen Vormittag pro Woche verbringt Ulli Engelmann in einer Chemnitzer Grundschule. Der 70-Jährige drückt aber nicht die Schulbank, sondern hilft Kindern, ihre Konflikte mit Respekt und Wertschätzung zu lösen. Seit fünf Jahren gehört Ulli Engelmann zur Chemnitzer Ortsgruppe von Seniorpartner in School. In der sind aktuell 28 Schulmediatoren an zwölf Chemnitzer Grundschulen aktiv. Und dieser Einsatz ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.
Herr Engelmann, nehmen wir an, in Ihrem Sprechzimmer in der Schule sitzen zwei kleine Streithähne, die sich in der Pause gerade in die Haare bekommen hatten. Was machen Sie?
Ulli Engelmann: Auf jeden Fall frage ich niemals: Warum hast du das gemacht? Sondern ich höre zu. Ich werte nicht und ich gebe keine Schuld. Wenn ein Kind zu mir kommt, sage ich zuerst: Na, erzähl mal. Ich möchte auch nicht wissen, wer angefangen hat. Uns Schulmediatoren geht es darum, den Kindern zu vermitteln, dass sie auch anders reagieren können, als ihr erster Reflex es ihnen vorgibt. Und der ist oft mit Tätlichkeiten verbunden.
Wie geht das?
Mit Respekt und Wertschätzung. Und Achtsamkeit - im Umgang mit anderen und mit sich selbst. Wenn die Kinder sich selbst spüren, wenn sie wissen, ich bin okay so wie ich bin, dann merken sie, sie müssen dem anderen gar nicht ständig ein Bein stellen, um auf sich aufmerksam zu machen.
Wo sind Sie in der Schule zu finden?
Wir sind immer zu zweit an einer Schule. Dort gibt es ein Sprechzimmer, wo vertrauliche Gespräche stattfinden können. Was da besprochen wird, bleibt dort, das erfährt kein Lehrer und keine Eltern. Das ist den Kindern sehr wichtig. Das schafft Vertrauen. Wir gehen aber auch zur Unterstützung ins Klassenzimmer, etwa wenn einer oder eine immer wieder den Unterricht stört. Da reicht meist schon unsere reine Anwesenheit. Außerdem sind wir bei der Hofpause mit draußen. Denn dort geht's häufiger zur Sache.
Der Landesverband Sachsen von Seniorpartner in School e. V. (SiS) hat seinen Sitz in Chemnitz und wurde 2008 gegründet. Aktuell hat er 63 aktive Mitglieder. Die Regionalgruppe Chemnitz wurde im Jahr 2023 mit dem Friedenspreis der Stadt Chemnitz ausgezeichnet.
Was begegnet Ihnen auf den Schulhöfen und in den Klassenzimmern?
Ich bin zum Beispiel an der Rudolfschule, das ist eine sehr friedvolle Schule. Wenn wir gebraucht werden, dann geht es meist um Beleidigungen und Hänseleien, aber auch Drohungen und körperliche Angriffe. Und natürlich wiederholtes Stören im Unterricht.
Wie reagieren Sie konkret?
Nehmen wir zwei Kinder: Das eine hat dem anderen ein Bein gestellt, das andere hat ihm daraufhin in den Bauch geboxt. Dann fragen wir natürlich, was passiert ist. Im Verlauf kommen wir aber zur Frage, was sie denken, wie der andere sich damit fühlt. So vermitteln wir Empathie. Die Kinder lernen, ihr Verhalten kritisch zu betrachten. Zugleich zeigt sich, dass hinter jedem Verhalten ein Bedürfnis steht. Das versuchen wir zu ergründen. So stellen wir fest, dass Wut oder Provokation oft daher kommt, dass sich die Kinder zuhause oder in der Schule nicht gesehen fühlen. Anderes Beispiel: Musikvorführung in der Turnhalle, einer stört. Ich nehme ihn mit raus und er rennt erstmal drei Runden über den Schulhof. Diese Bewegung verschafft ihm wieder Ruhe und Konzentration. Das könnte der Lehrer in dem Moment gar nicht leisten.
Die Vermittlung von Schulmediatoren findet direkt statt, bei Interesse wenden sich die Schulleitungen also an den Verein. Madlen Dost, Schulleiterin der Grundschule Südlicher Sonnenberg sagt: »Der Wandel von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft geht an den Schulen nicht spurlos vorbei. Auch an den Grundschulen sehen sich Schüler mit Konflikten aller Art konfrontiert. Die SiS-Schulmediatoren kommen deshalb wie gerufen. Sie sind im Schulalltag eine wichtige Stütze, da sie ausreichend Gehör und Zeit mitbringen.«
Wie klappt die Zusammenarbeit mit den Lehrern?
Wir sind keine Konkurrenz, sondern ein Angebot für achtsame Konfliktlösungen auch in Einzelfällen, wo dem Lehrer einfach die Zeit dafür fehlt. Und das schätzt das Lehrerteam genauso wie die Schulleitung.
Der Landesverband Sachsen sucht weitere Streitschlichter für Grundschulen in Chemnitz. Der gemeinnützige Verein führt vom 5. März bis 12. April eine kostenlose Ausbildung zum Schulmediator in Chemnitz durch. Das Angebot richtet sich an Seniorinnen und Senioren ab 55 Jahren. Anmeldungen sind bei Herbert Hartmann telefonisch unter 0152 25169472 oder per E-Mail an hh-hartmann@t-online.de möglich.
Welche Grundsätze leiten Ihr Handeln?
Herzenswärme. Ohne erhobenem Zeigefinger. Ich möchte das Kind in seine Kraft bringen, aber nicht in dem Sinne, dass er jedem eine reinhauen darf. Es geht darum, dass die Kinder sich selbst wertschätzen und ihren eigenen Frieden finden. Dann gibt es auch keinen Grund, Streitigkeiten anzuzetteln oder zuzuschlagen.
Das heißt, Sie arbeiten konkret am Fall, aber auch präventiv?
Korrekt, denn die Kinder sollen ja lernen, wie sie sich grundsätzlich in Konfliktsituationen verhalten. Es ist ein Prozess.
Wie sehen die Kinder Sie?
Uns nennt keiner Mediatoren, auch wenn wir das sind. Wir werden Streitschlichter genannt. Sie wissen, dass wir zuhören, dass sie sich uns anvertrauen können. Manche offenbaren sich dann wirklich mit ihren Nöten. Und dann fragen wir: Was brauchst du, damit es dir gut geht? Aber ich bin kein Opa-Ersatz und erst recht kein Kumpel.
Was bringt die Arbeit Ihnen persönlich?
Sehr viel. Es erfüllt mich und hält mich geistig rege. Ich werde gebraucht und kann etwas von meiner Lebenserfahrung weitergeben. Das ist wunderbar! Ich mag die Arbeit mit den Kindern genauso sehr wie die regelmäßigen Treffen mit den anderen Ehrenamtlern. Das hält fit. Eine echte Win-Win-Situation, die mein Leben bereichert.