Rede zur Gedenkveranstaltung: Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren am 8. Mai 2025

Oberbürgermeister Sven Schulze bei der Gedenkveranstaltung am 8. Mai 2025
Foto: Igor Pastierovic

Liebe Freundinnen und Freunde aus unseren Partnerstädten, 

sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Konsulate und Botschaften,

sehr geehrter Herr Landtagspräsident Dierks, 

sehr geehrte Abgeordnete des Sächsischen Landtags, sehr geehrte Mitglieder des Chemnitzer Stadtrates, 

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Chemnitzerinnen und Chemnitzer,

ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu dieser Gedenkveranstaltung anlässlich des 8. Mai – einem der bedeutsamsten Tage unserer Geschichte. Es ist der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging, der Tag, an dem das nationalsozialistische Unrechtsregime endgültig kapitulierte.

Heute, 80 Jahre danach, erinnern wir nicht nur an ein historisches Ereignis – wir gedenken der Millionen Opfer des Zweiten Weltkrieges, der Gewaltherrschaft und der Verfolgung. Wir gedenken der Opfer der Shoah. 

Und wir ehren all jene, die zur Befreiung beigetragen haben. Dass heute Vertreterinnen und Vertreter der im Krieg gegen Nazideutschland Verbündeten bei uns in Chemnitz sind, ist ein besonderes Zeichen – ein Zeichen der Versöhnung, der Verantwortung und des gemeinsamen Willens zur Bewahrung des Friedens. Danke an die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter des amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen Volkes, die heute hier sind und auch noch zu Ihnen sprechen werden. Uns ist dabei wichtig, die Leistungen und die Opfer der jeweiligen Völker gleichermaßen zu ehren. Nicht die Regierungen haben das Leid ertragen – es waren die Menschen, die mit Schmerz, Verlust und Entbehrung leben mussten. Damals wie heute. 

Gerade in Zeiten wie diesen, in denen wieder Krieg in Europa herrscht, in denen Menschen sterben, Städte brennen, und Worte wie "Vertreibung" und "Flucht" erneut bittere Realität geworden sind, erkennen wir: Frieden ist niemals selbstverständlich. Die Schrecken der Vergangenheit können sich wiederholen – wenn wir vergessen, wenn wir wegsehen, wenn wir aufhören, uns einzusetzen.

Darum ist dieser Tag, dieser Ort, dieses gemeinsame Erinnern heute so wichtig.

In unserer Stadt hat ein Name, wie kaum ein anderer, für diese Erinnerung eine bleibende Bedeutung: Justin Sonder. Geboren 1925 hier in Chemnitz, überlebte er das Konzentrationslager Auschwitz und die Todesmärsche im Frühjahr 1945. Am 23. April – ein Datum, das er selbst „seinen zweiten Geburtstag“ nannte – wurde er befreit. Er kehrte zurück in seine Heimatstadt und machte es zu seiner Lebensaufgabe, Zeugnis über das Erlebte und Erlittene abzulegen: in Schulen, bei Veranstaltungen, in persönlichen Gesprächen.

Über 500 Begegnungen mit jungen Menschen sind dokumentiert – dabei war es nie sein Ziel, Schuld zuzuweisen, sondern aufzuklären. Er stellte Fragen wie: Was habe ich erreicht? Und: Was könnt ihr tun, damit so etwas nie wieder geschieht?

Und auch auf dem Brühl ist Justin Sonder gegenwärtig: Auf dieser Bank aus Muschelkalk sitzt er aus Bronze – nicht zentral, nicht erhoben, sondern neben einem freien Platz. Dort können sich Menschen zu ihm setzen, nachdenken, ins Gespräch kommen – mit der Geschichte, mit sich selbst, mit dem Erlebten.

Diese Formen des Erinnerns – leise, offen, einladend – sind typisch für Chemnitz. Wir wollen mit offenen Herzen und offenen Fragen erinnern.

Und wir wollen dazu beitragen, dass Menschen nie wieder glauben, [allein] aufgrund ihrer Abstammung anderen überlegen zu sein. Deshalb sind unsere Städtepartnerschaften ein wesentlicher Teil dieser Erinnerungskultur. Die Beziehungen zu unseren Partnerstädten leben von Interaktionen. Von gemeinsamen Projekten, von Jugendbegegnungen, von Kultur und Wirtschaft, von wechselseitigem Lernen.

Zurzeit tauschen wir uns dazu mit unseren Freundinnen und Freunde aus unseren Partnerstädten aus. Die Partnerstädtekonferenz findet noch bis morgen in Chemnitz statt. 

Von ihnen können wir lernen, wie Versöhnung gelingen kann. Wie man mit Erinnerung arbeiten kann, ohne in der Vergangenheit zu verharren. Und wie man Brücken baut – über Grenzen, über Gräben, über Generationen hinweg.

Es sind genau diese Brücken, die wir in Chemnitz brauchen. In einer Stadt, die Kulturhauptstadt Europas 2025 ist, die offen ist für Vielfalt, für Wandel, für Debatte. Eine Stadt, die nicht vergisst, sondern Verantwortung übernimmt.



Unsere Demokratie ist kein Geschenk, sondern eine Aufgabe. Der 8. Mai erinnert uns daran, dass Frieden, Freiheit und Menschenwürde erkämpft wurden – und dass wir sie gemeinsam verteidigen müssen.

Ich danke allen, die heute hier sind. Ich danke den Vertreterinnen und Vertretern der Alliierten für ihre Anwesenheit – als Freunde, als Partner, als Mitstreiter für eine bessere Zukunft. Und ich danke allen, die die Erinnerung an Justin Sonder lebendig halten – sei es durch ein Bild, einen Film, eine Schulstunde oder einfach ein stilles Gespräch auf der Bank am Brühl.

Vielen Dank an das Ballett der Theater Chemnitz, an das Mejo Quartett der Robert-Schumann-Philharmonie und an die Schülerinnen und Schüler des Agricola-Gymnasiums Chemnitz und des Görres-Gymnasiums Düsseldorf für ihre kulturellen Beiträge. 


Möge dieser 8. Mai ein Tag der Mahnung, des Gedenkens und der Hoffnung sein.


Herzlichen Dank für Ihr Kommen. 


(Es gilt das gesprochene Wort.)