Stolpersteine in Chemnitz
Szyja und Joseph Wulf, Ettel Laje Wulf, geb. Buchaster
Szyja Wulf
Geboren: 04.10.1881
Gestorben: zw. 1940 und 8. Mai 1945
Ettel Laje Wulf, geb. Buchaster
Geboren: 15.10.1889
Gestorben: zw. 1940 und 8. Mai 1945
Joseph Wulf
Geboren: 22.12.1912
Gestorben: 10.10.1974
Verlegeort:
Uferstraße 9
Stolperstein-Verlegung am:
20. September 2025
Lebensweg

Szyja Wulf lebte eine Zeit lang in Dresden, bevor er Anfang 1910 seinen Wohnsitz nach Mittweida verlegte. Einige Monate später zog er nach Chemnitz.
Was ist über den Partiewarenhändler bekannt? Er wurde in der Stadt Maciejowice (Russisch-Polen) geboren. Am 5. Mai 1909 vermählte er sich in Krakau, das damals noch Teil der Habsburger Monarchie war, mit der um acht Jahre jüngeren Ettel Laje Buchaster. Bereits am 26. August 1909 wurde ihr Sohn Pinkus Elias in der früheren Hauptstadt des Königreiches Polen geboren.
Nachdem sich Wulf in Chemnitz etabliert hatte, verlegte auch seine schwangere Ehefrau ihren Wohnsitz dahin. Gemeinsam mit dem Sohn Pinkus Elias traf sie im September 1910 in der Stadt ein. Ettel Wulf brachte am 29. Dezember 1910 in dem Haus Uferstraße 9 einen weiteren Sohn auf die Welt, der jedoch nach nur zehn Minuten starb. Josef wurde in einem der namenlosen Gräber in der Kinderabteilung des Israelitischen Friedhofs in Chemnitz beigesetzt. Ettel Wulf schenkte zwei Jahre später erneut einem Jungen das Leben. Er erhielt die Namen Joseph Bär.
Über das Handelsgeschäft können keine weiteren Angaben gemacht werden. Es florierte vermutlich, denn Szyja Wulf erwarb im April 1913 ein 1846 erbautes Wohngebäude mit Verkaufsladen, und zwar das Hausgrundstück Uferstraße 9. Im Nachbarhaus befand sich damals die Gaststätte „Zur Ostbrücke“.
Während des Ersten Weltkrieges beschloss der russische Staatsangehörige Wulf, der damit in Deutschland als „feindlicher Ausländer“ galt, seinen Wohnsitz wieder nach Krakau zu verlegen. Im Dezember 1917 meldete er sich mit Ehefrau und den Söhnen im Chemnitzer Stadthaus ab. Die Söhne wuchsen fortan in Krakau bei den Großeltern auf. In der Folgezeit hielt sich Szyja Wulf oftmals in Chemnitz auf, um sich im Februar 1925 endgültig nach Krakau, das ab dem 28. Oktober 1918 wieder zu Polen gehörte, abzumelden. Das Chemnitzer Haus, in dem acht Mieter wohnten, blieb weiterhin in seinem Besitz.
Das Haus Uferstraße 9 wurde nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, spätestens ab 1940/41, von der Haus-Verwaltung und -Verwertung GmbH kommissarisch verwaltet. Während der alliierten Luftangriffe auf Chemnitz wurde das Haus im März 1945 „sehr stark beschädigt“. Zu diesem Zeitpunkt waren die Eheleute Wulf, ihr Sohn Elias, dessen Ehefrau und Tochter schon nicht mehr am Leben. Sie waren in dem Ghetto Krakau ermordet worden. Nur der jüngere Sohn, der in den 1930er-Jahren an der Jüdischen Hochschule in Krakau eine Ausbildung zum Rabbiner abgeschlossen hatte, überlebte. Sowohl eine Todeszelle im Krakauer Gestapogefängnis als auch das Vernichtungslager Auschwitz konnten ihn nicht zerbrechen.
Joseph Wulf ging in die Geschichte der alten Bundesrepublik als „Pionier der Dokumentation von NS-Verbrechen“ ein. Seit 1952 lebte er in Berlin (West). Als Mitarbeiter der „Bundeszentrale für Heimatdienst“ in Bonn informierte er frühzeitig die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft über die nationalsozialistischen Verbrechen. Im Jahr 1955 begann er mit der Publikation zahlreicher Bücher zur Geschichte des Nationalsozialismus. Vor allem seine Dokumentationen zu bestimmten Themenbereichen des „Dritten Reiches“ (wie Theater und Film, Presse und Funk oder Literatur und Dichtung) waren bahnbrechend. 1965 startete Wulf darüber hinaus eine Kampagne, in der Berliner Villa der Wannsee-Konferenz ein Dokumentationszentrum zu errichten. Allerdings verweigerte der Berliner Senat jegliche Unterstützung für dieses Vorhaben.
Von den Lagererfahrungen zutiefst traumatisiert und enttäuscht vom fehlenden Interesse für sein Werk nahm sich Joseph Wulf am 10. Oktober 1974 das Leben, indem er aus dem Fenster seiner Berliner Wohnung sprang. Der Historiker Wolfgang Scheffler (1929-2008) bemerkte dazu: „Die Umstände seines Todes erinnern an den verzweifelten Todessprung seiner Leidensgenossen aus den Fenstern der brennenden Häuser des Warschauer Ghettos“. „Ein Chemnitzer überlebte Auschwitz – aber nicht unsere Zeit“, so fasste Reinhard Kühn (1937-2011), Gründungsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Chemnitz, das tragische Schicksal des verdienstvollen Zeithistorikers zusammen. Er hinterließ einen 36-jährigen Sohn.
Joseph Wulf wurde in Holon in der Nähe von Tel Aviv beigesetzt.
Stolpersteine in Chemnitz
Es ist ein Projekt gegen das Vergessen: in Chemnitz werden seit 2007 jährlich Stolpersteine verlegt.
Eingelassen in den Bürgersteig, erinnern die Gedenksteine an tragische Schicksale von Mitbürgern, die während des nationalsozialistischen Regimes verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Tod getrieben wurden.
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