Stolpersteinverlegung am 20. September 2025
Am Samstag, dem 20. September, werden weitere 30 neue Stolpersteine an zwölf Orten in Chemnitz verlegt und eingeweiht. Es ist inzwischen zu einer festen Tradition geworden, mit einer jährlichen Stolpersteinverlegung an die einst jeweils an Ort und Stelle wohnhaften Bürger:innen der Stadt zu erinnern, die Verfolgte und Opfer des NS-Regimes wurden.
In diesem Jahr ehrt die Stadt Chemnitz jüdische, politische und Euthanasieopfer. Möglich gemacht haben dies engagierte Bürger:innen und Schüler:innen aus Chemnitzer Schulen, die mit der Übernahme von Patenschaften für die kleinen Gedenkplatten auch deren Finanzierung gesichert haben. Viele von ihnen sowie Angehörige der Geehrten aus Israel und der Schweiz sowie weitere Nachkommen ehemaliger Chemnitzer jüdischer Familien werden die Verlegung im Stadtgebiet begleiten.
Zum Auftakt 9 Uhr vor dem TIETZ wird Bürgermeister Ralph Burghart die Anwesenden begrüßen. Der Künstler Gunter Demnig, der das Kunstprojekt Stolpersteine 1993 ins Leben rief und mittlerweile weltweit damit unterwegs ist, wird an den ersten Stationen dabei sein und die Stolpersteine verlegen.
Am Freitag, dem 19. September, 18 Uhr – am Vorabend der Verlegung – sind Interessierte zu einem Vortrag von Gunter Demnig im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz, Stefan-Heym-Platz 1 eingeladen. In seinem Vortrag spricht er über das Stolperstein-Projekt, das an die Opfer des nationalsozialistischen Regimes erinnert und ihre letzten bekannten Wohn- oder Arbeitsorte sichtbar macht. Der Eintritt ist frei. Aufgrund begrenzter Plätze wird um Anmeldung gebeten unter https://mitdenken.sachsen.de/1055233.
Die 30 Stolpersteine an zwölf Orten in Chemnitz im Einzelnen:
9 Uhr: Vor dem Tietz, Moritzstraße 20
Stolpersteine für Erich, Eugenie, Gerhard und Marion Jacoby
Erich Jacoby kam 1927 mit seiner Familie von Berlin nach Chemnitz, um hier im TIETZ als Abteilungsleiter für die Damenkonfektion zu arbeiten. Tochter Marion wurde 1928 in Chemnitz geboren. Beide Kinder besuchten später die Andréschule auf dem Kaßberg. Nach der Pogromnacht, in der Erich Jacoby in „Schutzhaft“ genommen und anschließend kurzzeitig in das KZ Buchenwald verschleppt wurde, setzten die Eheleute alles daran, die Kinder in Sicherheit zu bringen. Am 6. Juni 1939 konnten Gerhard und Marion mit einem Kindertransport nach Schweden in Sicherheit gebracht werden. Erich und Eugenie Jacoby wurden am 13. Juli 1942 in einem Sammeltransport nach Osten deportiert. Die Jüdische Gemeinde Chemnitz ging nach Kriegsende davon aus, dass dieser Transport das Ghetto Belzyce als Ziel hatte.
Paten: Mara Schmied-Tautz sowie Schülerinnen und Schüler der Montessori-Oberschule Chemnitz
9.40 Uhr: Dresdner Straße 4 (heute Ecke Bahnhofstraße/Augustusburger Straße)
Stolpersteine für Richard Sander, Sophie Sander und Herbert Sander
Die Eheleute Richard und Sophie Sander, geb. Grossmann, wohnten mit ihren beiden Söhnen Ernst und Herbert Sander in dem Haus Dresdner Straße 4, wo sie auch ein Möbelgeschäft besaßen. Während der Novemberpogrome wurden die Söhne in „Schutzhaft“ genommen. Herbert Sander wurde im Mai 1942 in das Ghetto Belzyce deportiert, sein Bruder Ernst genoss aufgrund einer „Mischehe“ vorübergehenden Schutz.
Richard Sander starb am 15. Juli 1942 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Chemnitz beigesetzt. Sophie Sander wurde im September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie im Februar 1945 auf ihren Sohn Ernst Sander traf. Gemeinsam kehrten sie am 9. Juni 1945 nach Chemnitz zurück. Hier verstarb sie am 9. Dezember 1950. Sohn Herbert galt als verschollen.
An Ernst Sander erinnert seit dem Frühjahr 2024 eine ehemalige Zelle im Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis.
Paten: Ottilie Wied, Uwe Lasch, Marcus Lehmann, Anja Wartenberg, Dr. Steffi Lehmann
10.05 Uhr: Augustusburger Straße 44 (heute neben Augustusburger Str. 36)
Stolpersteine für Kalman, Hanah und Margot Kugelmas
Die Eheleute Kalman und Hanah Kugelmas, geb. Bloner, lebten vermutlich seit Anfang der 1920er-Jahre in Chemnitz und führten hier ein Geschäft mit Herrengarderobe. Sie und ihre Tochter Margot Kugelmas gehörten zu den 335 Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit aus Chemnitz, die am 28. Oktober 1938 im Rahmen der „Polen-Aktion“ verhaftet und nach Polen abgeschoben wurden. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.
Paten: Peggy Braun, Dr. Johanna Rose, Sabine Hochmuth
10.30 Uhr: Uferstraße 9 (heute gegenüber Uferstraße 20)
Stolperstein für Szyja, Ettel Lea und Joseph Wulf
Szyja Wulf, ein Partiewarenhändler aus Russisch-Polen, lebte mit seiner Familie seit 1910 in Chemnitz und erwarb 1913 hier das Hausgrundstück Uferstraße 9. Während des Ersten Weltkriegs zog er im Dezember 1917 mit seiner Ehefrau Ettel Lea Wulf, geb. Buchaster, und den Söhnen Elias und Joseph Wulf, der hier zur Welt gekommen war, zurück nach Krakau. Während der NS-Zeit wurden die Eheleute, ihr älterer Sohn Elias und dessen Familie im Krakauer Ghetto ermordet. Sohn Joseph, ausgebildeter Rabbiner, überlebte Auschwitz und das Gestapogefängnis Krakau. Er dokumentierte später in der BRD die NS-Verbrechen und publizierte dazu zahlreiche Bücher. Er nahm sich auf tragische Weise im Oktober 1974 das Leben.
Paten: Anja Menzel-Rook, privat, Dieter Nendel (†)
10.55 Uhr: Würzburger Straße 25
Stolpersteine für Karl und Marianne Otto
Karl Otto, Schriftleiter, Lyriker und Kulturfunktionär, war Mitglied der KPD und des Roten Frontkämpferbundes. Seine Ehefrau Marianne Otto, geb. Schubert, ebenfalls bei der KPD, arbeitete als Stenotypistin und Korrespondentin. Sie wurde am 8. Mai 1933 verhaftet und befand sich bis zum 16. Mai 1933 im Polizeipräsidium in „Schutzhaft“.
Bereits im März 1933 kam Karl Otto wegen „illegaler Zusammenkunft“ in das Untersuchungsgefängnis auf dem Kaßberg und von dort in das KZ Sachsenburg, wo er am 6. November 1933 entlassen wurde. Nach erneuter Verhaftung im Oktober 1934 wegen „staatsfeindlicher Einstellung“ wurde er abermals in das KZ Sachsenburg überführt und im Dezember 1934 entlassen.
1942 wurde Karl Otto für die Wehrmacht mobilisiert und geriet am 9. Mai 1945 in englische Kriegsgefangenschaft. Ihm gelang im Dezember 1945 die Flucht und Rückkehr in die Heimat. Später befasste er sich ausführlich mit der Geschichte des Lagers Sachsenburg.
Paten: Albrecht Geißler, Franziska Fiedler
11.25 Uhr: Ottostraße 11
Stolperstein für Louis Goldschmidt
Der Fabrikant Louis Goldschmidt, Chemnitzer Geschäftsmann, wurde Anfang 1933 bei einem Geschäftsessen im Chemnitzer Hof unter einem Vorwand auf die Straße gelockt und in das berüchtigte „Hansa-Haus“, verschleppt, wo er von NS-Schergen schwer misshandelt wurde. Seiner Familie gelang es, ihn daraufhin in die Schweiz bringen, wo er monatelang zwischen Leben und Tod schwebte. Er überlebte und kehrte nie wieder nach Chemnitz zurück. Im September 1936 zog er nach England und gründete dort eine neue Strumpffabrik. Er verstarb im Januar 1962 in London.
Paten: Grit Heinig und Steven Powlesland
13.15 Uhr: Franz-Seldte-Straße 50 (heute Henriettenstraße)
Stolpersteine für Hugo, Louise Marie, Ilse Benda
Hugo Benda, Inhaber einer Wollwarenfabrik, und Ehefrau Louise Marie Benda, geb. Krug, lebten mit Tochter Ilse Benda seit 1932 in dem Haus Henriettenstraße 50. In Folge des Aufrufes zum „Judenboykott“ im April 1933 wurde Hugo Benda verhaftet und schwer misshandelt. Auch der Geschäftsumsatz brach drastisch ein, sodass er sich gezwungen sah, Konkurs anzumelden. Hugo Benda erlag im Mai 1936 einem schweren Krebsleiden.
Kurz nach der Reichspogromnacht im November 1938 verließen Mutter und Tochter Chemnitz fluchtartig. Den Krieg und die deutsche Besatzung überlebten beide in der Illegalität in Brüssel und kehrten später nach Deutschland zurück.
Paten: Familie Prokein, Schülerinnen und Schüler des Georgius-Agricola-Gymnasiums, Peter Blechschmidt
13.40 Uhr: Helenenstraße 60 (heute Walter-Oertel-Straße)
Stolpersteine für Johannes und Nanny Paudler
Die Jüdin Nanny Paudler, geb. Fröhlich, war in zweiter Ehe mit Verlagsvertreter Johannes Paudler, der aus Böhmen stammte, verheiratet. Infolge dessen konvertierte sie zur römisch-katholischen Kirche. Die Eheleute Paudler waren aufgrund ihrer jüdischen Abstammung und antifaschistischen Haltung ständigen Schikanen ausgesetzt. Im Januar 1944 verließen sie Chemnitz und hielten sich an verschiedenen Orten verborgen. Während eines Krankenhausaufenthaltes von Nanny wurde ihr Ehemann von der Gestapo verhaftet, kam jedoch wieder frei. Kurz vor Kriegsende flohen sie aus Berlin ins Erzgebirge. Johannes Paudler entging dort dank des Einmarsches der Roten Armee im Mai 1945 nur knapp einem Kriegsgericht.
Paten: Anja Thiele, Andreas Georgi
14.05 Uhr: Gustav-Adolf-Straße 40
Stolperstein für Gerhard Rothe
Gerhard Rothe litt im Kleinkindalter an Krampfanfällen und konnte kaum sprechen. Aufgrund des unheilbaren Gesundheitszustandes wandte sich der Vater an das Jugend- und Wohlfahrtsamt der Stadt, dieses empfahl ihm die Einweisung in die Nervenheilanstalt. Im Juli 1932 erfolgte die Aufnahme von Gerhard in die „Anstalt Katharinenhof in Großhennersdorf“. Im Herbst 1940 wurde er zusammen mit 63 weiteren Personen in einem „Sammeltransport verlegt“ und noch am selben Tag in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein mit Gas ermordet.
Patin: Almut Bothe
14.30 Uhr: Heinrich-Beck-Straße 1
Stolpersteine für Dr. Helmuth Daniel, Ursula, Justus Thomas und Edith Charlotte Klemperer
Dr. Helmuth Klemperer war jüdischer Jurist und seit Dezember 1925 als Assessor beim Amtsgericht und Landgericht in Chemnitz zugelassen. Mit seiner Ehefrau Ursula Klemperer, geb. Pabst, und ihrer gemeinsamen Tochter Edith Charlotte Klemperer wohnte die Familie bis 1933 in der Heinrich-Beck-Straße 1, bevor sie nach Barcelona flohen. Auf den Entzug seiner Zulassung als Rechtsanwalt im selben Jahr bezog er von dort in couragierten Schreiben an den sächsischen Justizminister Stellung gegen das Regime. In Barcelona bekam das Ehepaar 1936 sein zweites Kind, Justus Thomas Klemperer. Gemeinsam wanderte die Familie 1937 über Prag nach Ecuador aus. Im Juli 1953 erfolgte die Wiedereinbürgerung in Deutschland und 1957 die Wiederzulassung von Dr. Helmuth Klemperer als Rechtsanwalt.
Paten: Beatrix und Sebastian Schmidt, Maria Wiegand, Anne Brantl, Gert Wilhelm
15 Uhr: Liliencronstraße 1
Stolpersteine für Heinrich und Dora Hedwig Neumann
Kaufmann Heinrich Neumann gründete mit seinem älteren Bruder Sigmund im Jahr 1908 ein Großhandelsgeschäft für Strumpf- und Handschuhwaren. 1921 heiratete er Dora Hedwig Neumann, geb. Grellmann. Ihr erstes gemeinsames Kind kam 1921 tot auf die Welt, 1923 wurde Tochter Fanni Ruth geboren. Doch auch sie verstarb krankheitsbedingt 1928 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Chemnitz-Altendorf beigesetzt.
Heinrich Neumann wanderte 1939 nach England aus. Ehefrau Dora war womöglich zu krank um nachzukommen. 1945 wurde sie bei Luftangriffen in einem Luftschutzkeller verschüttet und trug schwere Verletzungen davon. Wohl aufgrund schwerer Depressionen und der allgemeinen Körperschwäche nahm sie sich 1946 das Leben. Heinrich Neumann überlebte seine Ehefrau um sieben Jahre.
Paten: Familie Fritzsching, Familie Busse
15.35 Uhr: Grünband 20
Stolpersteine für Bodo und Auguste Ritscher
Die Eheleute Auguste und Bodo Ritscher waren Chemnitzer Antifaschisten. Nach dem Verbot der KPD 1933 arbeiteten sie in der Illegalität. Im Juni 1933 wurde Bodo Ritscher verhaftet, im Polizeigefängnis Chemnitz gefoltert und von dort in die Konzentrationslager Colditz und Sachsenburg überführt. Bis zu seiner Entlassung im September 1934 wurde er dort u. a. im Steinbruchkommando eingesetzt.
Auguste Ritscher kam nach ihrer Verhaftung am 9. November 1933 aufgrund einer Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat im August 1934 für zwei Jahre in das Zuchthaus Waldheim.
Dem Ehepaar gelang es anschließend, 1936 nach Prag zu emigrieren. Bodo Ritscher ging im Februar 1938 nach Spanien, um den Freiheitskampf des spanischen Volkes zu unterstützen. Auguste Ritscher siedelte nach Paris über und setzte dort ihre Arbeit im Widerstand fort. Nachdem beide aus Internierungen freikamen, lebten sie ab April 1941 gemeinsam in Südfrankreich, wo im Oktober 1942 ihre Tochter Anni zur Welt kam. Ende 1947 kehrten sie nach Chemnitz zurück.
Paten: Privat, Ulf Engler